Regula Matter: Ein halbes Lebenswerk für Strassenkinder in Honduras

Online Reports, 19.01.2016

Dank des hartnäckigen Engagements der Sissacherin Regula Matter entstand im Armen-Staat Honduras das Kinderheim «El Refugio», das bis 80 Strassenkindern ein Obdach, Bildung und eine berufliche Zukunft ermöglicht. Die Spuren des bemerkenswerten Projekts wiederum führen ins Baselbiet. Doch nun gehen die Spenden zurück.

Es war der Bubendörfer Christof Wittwer, der Anfang der neunziger Jahre auf einer Weltreise in Honduras hängen geblieben war. Betroffen über das schreiende Elend im zentralamerikanischen Staat, in dem zwei Drittel der Bevölkerung in Armut leben, begann er in der Wirtschafts-Metropole San Pedro Sula zusammen mit Einheimischen und minimalsten Mitteln, Strassenkinder zu betreuen.

Um sie kümmerte sich keine staatliche Stelle, keine Sozialhilfe, keine Kirche – Pech gehabt in einem Land, das zu den kriminellsten der Welt gehört, korrupt ist, und in dem sich die Reichen weigern, Armen mit Geld beizustehen.

Aufs Schlimmste missbraucht
In der Zeitschrift «Baselbiet aktuell» berichteten Familienangehörige und Freunde über das Projekt. Der Artikel, der auch auf die Geldknappheit des Projekts hinwies, liess der ehemaligen BZ-Redaktorin Regula Matter (72) keine Ruhe: Sie nahm – entschlossen, den Helfern zu helfen – Kontakt mit Wittwer auf und reiste kurzerhand zu einem Augenschein ins lateinamerikanische Armenhaus.

Dort begegnete sie dem Helfer und seinen Schützlingen in den Slums, im Hinterhof eines mit einer Mauer abgetrennten Hauses. «Viele der Strassenkinder waren sexuell missbraucht worden und hatten furchtbare Gewalt erlebt», erzählt Regula Matter aus dem Leben der verwahrlosten jungen Menschen. Was sie dort vorfand, führte sie sofort zum Entscheid: «Ich gehe heim und sammle Geld.» Allerdings musste ihr Christof Wittwer das Versprechen abgeben, zu bleiben und am nachhaltigen Aufbau eines Horts mitzuwirken.

Ein Refugium für 80 Kinder
Zurück in der Schweiz hatte Regula Matter in nur gerade drei Wochen 200’000 Franken bei Freunden akquiriert. Mit diesem Budget in der Tasche reiste sie erneut über den Atlantik mit dem Auftrag an Christof Wittmer, ausserhalb der Stadt ein geeignetes Stück Land zu suchen. Auf einem Flecken eine Viertelstunde Autofahrt von der Stadt entfernt, im Dorf Ticamaya, wurde er fündig. Darauf entstanden zwei Kinderhäuser mit je 20 Betten, Bad, Küche einem Aufenthaltsraum.

Später kamen nochmals zwei Häuser und eine Primarschule, eine Werkstatt, eine Bäckerei und eine Bibliothek hinzu. Auf dem 14’000 Quadratmeter grossen Areal führen heute 17 Angestellte – ausser Wittmer, inzwischen mit einer Honduranerin verheiratet, alles Einheimische – das Zepter. Unter ihnen Pädagogen, Köchinnen, Computer-, und Primar- und Englischlehrer.

Damit ist im «Refugio» auch Bildung gewährleistet in einem Land, in dem die Lehrkräfte immer wieder in den Streik treten. Unterstützung aus der Schweiz bieten immer wieder auch Volontäre, die spanisch reden. Freiwillig tätige Ärzte aus den USA schauen jährlich vorbei, um den Allgemeinzustand der Kinder zu prüfen.

Ein Baby vor der Haustüre
Derzeit leben 69 Kinder – 34 Mädchen und 35 Buben zwischen vier und 20 Jahren – in der Obhut des Heims. Durchs Jahr seien es einige Pensionärinnen und Pensionäre mehr, sagt Regula Matter. Ende Jahr ziehen immer einige von ihnen weg, weil sie die Schule oder Ausbildung abgeschlossen haben, in einen Beruf einsteigen oder sich gar an einer Universität immatrikulieren. Eine 2009 in San Pedro Sula eröffnete Aussenstation für Absolventen höherer Schulen musste zum Bedauern der Heimleitung wieder aufgelöst werden, weil sie von Kriminellen überfallen wurde, die alles mitnahmen, was nicht niet- und nagelfest war.

«Je jünger die Kinder zu uns kommen, desto grösser sind die Chancen, dass sie sich gut entwickeln», sagt Regula Matter. Doch nicht immer gelingt eine geregelte Sozialisierung: «Einzelne laufen auch immer wieder mal weg.» Zweimal lag sogar – Baby-Klappe auf honduranische Art – ein Neugeborenes vor der Haustüre. Um so grösser ist die Freude, wenn ein «Refugio»-Spross den Sprung an eine Universität schafft und später als Ingenieur oder Lehrer ein ordentliches ziviles Leben führt. Die öffentliche Hand ist es, welche die Kinder in das längst staatlich anerkannte und mehrfach ausgezeichnete Heim einweist.

Kein Rappen für Administration
Getragen wird das «Refugio» – bis dahin als Verein konstituiert – seit 2001 durch eine gleichnamige, in Sissach domizilierte Stiftung, die über ein Anfangskapital von einer Million Franken verfügt. Das jährliche Budget von 200’000 bis 300’000 Franken wird unter anderem durch gegenwärtig 85 Sponsoren aufgebracht, die jährlich mindestens tausend Franken spenden, sowie durch 200 Gönner Patenschaften, die jährliche Beträge zwischen 20 (Gönner) und 240 Franken (Patenschaften) zahlen. «Kein einziger Rappen fliesst davon in die Administration», betont Regula Matter nicht ohne Stolz, «auch jeden Flug haben wir selbst bezahlt».

Doch Zeiten werden härter. «Die Einnahmen sind rückläufig und es wird schwierig, damit die laufenden Ausgaben zu decken», sagte die langjährige Stiftungs-Präsidentin, die an der Jahresversammlung vom kommenden März nach 22 Jahren aus dem Stiftungsrat zurücktreten wird.

Videobotschaft zum Siebzigsten
Neue Präsidentin ist seit drei Jahren Regula Matters Schwiegertochter Marion, die Ehefrau des Zürcher SVP-Nationalrats Thomas Matter. «Aktionen wie ‹Jeder Rappen zählt› schaden uns sehr», bedauert die Mittelbeschafferin, die sich nicht zu schade war, auch am Sissacher Weihnachtsmarkt Geld zu sammeln.

Die Kinder im «Refugio» dankten es ihr alle mit einer Videobotschaft zum siebzigsten Geburtstag. Darin kam zum Ausdruck, was sie jeweils auch bei ihren Besuchen im «Refugio» erfuhr: «Alle umarmten mich.»

Spenden, Gönner, Patenschaften:
IBAN: CH98 8077 3000 0058 3890 8
PC-Konto: 40-31200-6 Raiffeisenbank Liestal, 4410 Liestal, zugunsten Stiftung El Refugio, Für Kinder in Not, Röthenweg 1, 4450 Sissach
www.refugio.ch